Auf diese Neuerscheinung bin ich durch eine Buchankündigung bei gender.dieangewandte.at aufmerksam geworden. Heinz-Jürgen Voß untersucht in Making Sex Revisited die diskursive Herstellung biologischer Geschlechtlichkeit in naturphilosophischen, biologischen und medizinischen Diskursen. Im Zentrum der Arbeit stehen moderne naturwissenschaftliche Diskurse. Einführend werden jedoch die Komplexität und Vieldeutigkeit vormoderner Vorstellungen biologischer Geschlechtlichkeit und ihrer Entstehung dargestellt. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der griechisch-römischen Antike, deren medizinische Schriften die europäische Wissenschaft maßgeblich geprägt haben. Es wird deutlich, dass eine Vielzahl verschiedener Konzeptionen der Geschlechtsentstehung miteinander konkurrieren. Die Vorstellung eines ‚Ein-sex-Modells‘, wie Thomas Laqueur es vorgeschlagen hat, reduziert diese Vielfalt und Widersprüchlichkeit auf ein Modell, dass universell gegolten habe, und ist insofern nicht geeignet antike Vorstellungen sinnvoll darzustellen. Im Anschluss erhärtet Voß diese Infragestellung der Thesen Laqueurs, indem er aufzeigt, dass moderne und aktuelle bio-medizinische Diskurse nicht eindeutig und universell einem ‚Zwei-sex-Modell‘ zugeordnet werden können. Die Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur naturwissenschaftskritischen Geschlechterforschung und zeigt Alternativen für den aktuellen bio-medizinischen Umgang mit der sogenannten biologischen Geschlechtlichkeit und ihrer Entstehung auf. Zentrale Erkenntnisse und Ergebnisse der Arbeit sind:
- die (nochmalige) Belegung des Konstruktionscharakters biologischer Geschlechtlichkeit,
- die Sensibilisierung für die Wandelbarkeit der Vorstellungen über sex
- die Fokussierung auf Kontinuität und Wandel als Prozesse, die in einem engen Wechselverhältnis stehen.
Auf diese Weise werden dichotome Gegenüberstellungen vermieden, die grundsätzliche und unüberbrückbare Brüche postulieren. Positiv anzumerken ist auch die ausgewogene Problematisierung des historischen und aktuellen Umgangs mit Intersexualität und ihrer Pathologisierung. In den Schlussfolgerungen wird nicht nur auf die interdisziplinäre Herausforderung verwiesen, die die Komplexität und Wandelbarkeit der Vorstellungen darstellt, sondern auch eine Vielzahl weiterer Forschungsfelder und -fragen aufgezeigt, die der Bearbeitung harren. Aus altertumswissenschaftlicher Perspektive ist die sinnvolle Heranziehung der antiken Diskurse und ihre Einbettung in die Ergebnisse hervorzuheben. Voß beschränkt sich nicht darauf, legitimierend auf antike Diskurse und Praktiken zu verweisen, wie dies häufig geschieht. Der erste Teil seiner Arbeit ist ebenso zentral für die Ergebnisse wie die ausführlicheren Analysen moderner und aktueller Diskurse.
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Mich hat seine Begründung für die Konstruktion der Geschlechter nicht so überzeugt. Ich habe allerdings bisher auch nur eine Kurzfassung und noch nicht das ganze Buch gelesen. Mein Beitrag dazu:
http://allesevolution.wordpress.com/2010/05/18/feministische-theorie-und-mehrere-geschlechter/
@ Christian
So wie ich Voß verstanden habe, begründet er nicht die Konstruktion von Geschlecht, sondern zeigt auf, wie die Vorstellung biologisch eindeutiger Geschlechtlichkeit hervorgerufen wird. Und ja: das ist ein Unterschied. Zur konkreten Auseinandersetzung über die moderne Biologie ist er mit Sicherheit der kompetentere Gesprächspartner.
@grundmast
Das Geschlechter nicht immer eindeutig sind, sondern teilweise verschwimmen würde ich auch so sehen. Die biologischen Grundlagen dabei sehe ich allerdings anders als Herr Voss. Mit seiner Auffassung, dass nicht die Gene die Lebewesen formen, sondern die Zelle entscheidet steht er – zumindest wenn ich seine Ausführungen unter meinem Beitrag richtig verstehe – recht alleine da. Aber dazu wollte ich demnächst eh noch mehr schreiben. Es ist nur mal wieder die liebe Zeit, die einen abhält…
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